Von der herrlichen romanischen Kathedrale aus macht sich die Palmfreitags- Prozession auf den Weg, mit der Schmerzhaften Mutter in ihrem schwarzen Gewand und dem Dolch, der ihr Herz durchbohrt, als Symbol für den Schmerz aller Mütter, die ihr Kind verlieren. Den ganzen Morgen zieht die Prozession durch die Straßen der Altstadt und des Viertels aus dem 18. Jahrhundert, begleitet von den Volksschulkindern der Stadt, die die traditionelle Hymne der Schmerzhaften Jungfrau „La Desolata” anstimmen, welche zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Kanoniker Cepollaro nach den Versen von Bischof Pasquale Berardi komponiert wurde.
Mitten in der Nacht beginnt die Prozession der Mysterien bei der Kirche des San Domenico, die von der Erzbruderschaft der Maria SS. del Rosario (Rosenkranz) organisiert wird. Der Brauch, der zu den ältesten seiner Art gehört, sieht vor, dass 8 Statuen, die verschiedene Stationen der Passion Christi darstellen, in einer Prozession durch die Stadt getragen werden. Diese sind: Jesus am Ölberg, Jesus an der Säule, Jesus mit dem Schilfrohr, Jesus mit dem Kreuz, die Kreuzigung, die Pietà, die Grablegung, die Schmerzensmutter. Die Holzstatuen, einige davon wahre Meisterwerke der Bildhauerei, werden von Trägern in ihrem typischen Gewand, dem „stiferio”, einem englischen Frack, auf den Schultern getragen. Es folgen die Musikkapellen, die die traditionellen Trauermärsche der bitontinischen Maestri Carelli, Delle Cese und Abbate spielen. Um 9:00 Uhr fi ndet auf dem zentralen Corso Vittorio Emanuele die eindrucksvolle Kreuzwegandacht statt, während die „Heiligen Mysterien” vorbeiziehen.
Die feierliche Karfreitagsprozession nimmt an der Kirche des Purgatoriums ihren Ausgang. Die Statuen der Grablegung („la naca“) und der Addolorata (Schmerzensmutter) ziehen hinter den Mitgliedern der Erzbruderschaft der „Santa Maria del Suffragio“ durch die romantischen Gässchen der Altstadt und entlang der alten Stadtmauern. Ihnen folgt der Reliquienschrein “Legno Santo”, eine jährlich von den örtlichen Künstlern neu gestaltete Blumentrophäe, in dessen Inneren ein silbernes Reliquienkreuz aus dem 19. Jahrhundert einen Holzspan vom Kreuz Christi birgt. Die Brüder in Mozzetta und schwarzen Handschuhen tragen bei der Prozession eine authentische Kopie des Heiligen Grabtuchs die im Jahr 1646 in Turin angefertigt wurde. Die Prozession wird von den Carabinieri in Galauniform begleitet, gefolgt vom Fahnenträger der Stadt und den Vertretern der Stadtregierung und des Militärs. Der berührende Höhepunkt der Prozession ist ihre Ankunft (um ein Uhr nachts) auf der Piazza Moro, wenn die Lichter der Stadt erlöschen und der Platz nur mehr vom Schein der rund herum aufgestellten Feuer erhellt wird.
Die Kopie von Bitonto ist eine der drei weltweit existierenden Kopien des Heiligen Grabtuches von Turin, das den Leichnam Christi bedeckt haben soll. Die Kopie entstand 1646 “ex contactu” während der Ausstellung des Grabtuchs in Turin. Sie wurde der Stadt von Bischof Alessandro Crescenzi, dem einstigen apostolischen Nuntius von Turin am Hofe der Savoia zum Geschenk gemacht und am 25. Mai 1659 in einer Art Triumphzug zum ersten Mal durch die Straßen der Stadt getragen.
Große Aufmerksamkeit wird der “Blumentrophäe” zuteil, dem Reliquienkreuz, das in seinem Inneren zwei Holzspäne des Kreuzes Christi birgt. Zwei weitere befi nden sich angeblich in Rom und Jerusalem. Der Überlieferung nach war es Elena, der Mutter von Kaiser Konstantin gelungen, diese aus Jerusalem zu holen. Die Holzspäne wurden der Stadt Bitonto vom Erzbischof von Siponto und Manfredonia 1711 zum Geschenk gemacht und sind in ein großes Reliquienkreuz aus Silber und Kristall eingeschlossen. Jedes Jahr wird die sogenannte Blumentrophäe mit dem Reliquienkreuz von den kreativsten Künstlern der Stadt neu gestaltet. Somit ist das “Legno Santo” in jeder Karwoche einzigartig.