Es würde der Sache nicht gerecht, die apulischen Trauermärsche als bloße Begleitmusik der Prozessionen zu erachten, die jährlich die Passion sowie den Tod Christi aufs Neue begehen. Da ist etwas Königliches, Feierliches, Würdevolles, das sich im Kopf des Süditalieners abspielt, wenn er nur an einen „Trauermarsch“ denkt.
Seine Ursprünge verlieren sich in der Nacht der Zeit und stehen eindeutig mit den Bestattungsritualen in Verbindung. Dieses Musikgenre ist nicht nur im christlichen Westen, sondern in unterschiedlichen Formen auch in den verschiedenen Kulturen der geographisch und anthropologisch weit auseinanderliegenden Völker verwurzelt.
An dieses Genre, das insbesondere mit der Entwicklung der Fastenrituale einen erheblichen Zuwachs erfahren hat, haben sich Autoren aller Ebenen gewagt. Viele haben sich als Komponisten versucht, indem sie Märsche von bescheidenem künstlerischen Wert schrieben, die auf jeden Fall authentische Beispiele populärer Pietas sind; aber auch viele Musikgrößen haben sich damit gemessen (man denke bloß an Beethoven, Chopin oder Wagner). Dies ist ein Zeugnis für das intime Bedürfnis nach Gebet und Meditation, das der Mensch auch durch die Kunst zum Ausdruck bringen muss.
Apulien verfügt daher über eine große Gruppe an Komponisten von Trauermärschen, von denen sich viele auf höchstem künstlerischem Niveau befinden: Die Gebrüder Amenduni aus Ruvo di Puglia, Carelli, Biagio Abbate und Larotella aus Bitonto sowie Delle Cese, durch Adoption aus Bitonto, Valente, Saverio und Sergio Calò aus Molfetta, Rizzola und Bonelli aus Taranto sind nur einige der wichtigsten lokalen Komponisten. Menschen, die imstande sind, ihre Emotionen bezüglich persönlicher Situationen sowie das religiöse Gefühl der Karwoche in Musik umzusetzen, gelingt es, ein Volk zu begeistern, das im Verlauf der Zeit an den Prozessionen teilnimmt und sich von jenen ergreifenden Inhalten bewegen lässt, die das langsame und strenge Tempo der Träger der heiligen Bilder kennzeichnen. Manche sind äußerst feinfühlend mit meditativen Themen, andere sind majestätischer und somit feierlich, wieder andere sind düster und erhaben, und die meiste Zeit sind sie mit dem klaren Ziel geschrieben, dem Schritt in den Trauerprozessionen Rhythmus zu verleihen, und sind daher reich an Perkussionsbegleitung und Trompetenklängen.
Obwohl sie von Region zu Region starke Unterschiede aufweisen (insbesondere in ihrer formalen und harmonischen Struktur), haben die apulischen Trauermärsche einiges gemeinsam: Sie basieren auf Themen mit großer Wirkung, in denen sämtliche Instrumente eine wichtige Rolle übernehmen, aber tendenziell wird der Abschnitt der Flügelhörner (Sopran, Tenor, Bariton) hervorgehoben, die mit ihrem warmen und melodiösen Klang Leitmotive, Kontrapunkte und Gegenmelodien zelebrieren. Manche von ihnen werden nach wie vor als wahrhafte Meisterwerke ihrer Art angesehen, und es ist zu hoffen, dass die Partituren als wertvolles Erbe der Gemeinschaft durch eine ausgeklügelte Kulturpolitik beschützt und bewahrt werden, damit sie in ihrer Authentizität an zukünftige Generationen weitergegeben werden können. Was jedoch überrascht, ist die enthusiastische und hingebungsvolle Einstellung, mit der die einzelnen Künstler und Mitglieder der Konzertkapellen von Apulien an diese Märsche herangehen und mit Bangen der Ankunft der Fastenzeit entgegensehen.
Es ist kein Zufall, dass die Nebeneinanderstellung von Trauermarsch und Kapelle im Süden unauflöslich ist. Die Kapelle, die wie dafür geschaffen ist, um im Freien zu spielen, ist Ausdruck der Gemeinschaft und bildet als „einheitlicher Organismus“ die symbolische Darstellung des menschlichen Wesens. Sie besteht aus einem Rhythmus (durch die Perkussionsinstumente), der den Herzschlag imitiert und den Blasinstrumenten, die eben durch das „Blasen“ mit dem Atem assoziiert werden, und gerade diese Eigenschaft macht sie derart verwurzelt im endemischen Gefüge der Gesellschaft im Süden Italiens.
von Vito Vittorio Desantis