Der Brauch der Kreuzwegsprozessionen während der Karwoche hat in Valenzano eine lange Tradition. Das älteste Heiligenbild im Ort ist ein Wandgemälde aus dem 15. Jahrhundert und stellt den Ecce Homo dar. Aus der gleichen Zeit stammt auch ein fein gefertigtes Kreuz, das heute in der Kirche des San Rocco hängt. Der Heiland an diesem Kreuz hatte ursprünglich bewegliche Arme, um die Kreuzabnahme und Grablegung besonders eindrucksvoll zu gestalten. Aus dem Jahr 1675 stammt das Gesuch des Abts des Klosters an die bischöfliche Kurie von Bari, die Karfreitagsprozession mit einigen Mysterien der Passion und Engeln abhalten zu dürfen. Dieses Dokument belegt offiziell den Beginn der Karfreitagsprozession in Valenzano, bei denen junge Leute in Kostümen die Szenen der Passion Christi darstellten und Trauergebete sprachen. 1696 erhielt das Kloster ein wunderschönes und wertvolles Holzkreuz, das von Bruder Angelo da Pietrafitta stammte und mit vielen wundersamen Ereignissen in Verbindung gebracht wurde. 1706 bekam die Kirche der Franziskaner einen neuen Holzchor an der Gegenfront des Altars, der vier Wandgemälde mit Szenen aus der Passion Christi trug. 1730 wurde an der Begrenzung des Klostervorplatzes ein Steindenkmal des Heiligen Kreuzes errichtet, auf dem als Flachrelief fünf Szenen der Passion dargestellt waren. An dieser Stelle beginnt und endet nach den Lehren des Franziskaners Leonardo da Porto Maurizio der Kreuzweg der Stadt. 1762 entstand an den Flügeln der Seitenaltäre der Kirche Santa Maria di San Luca auf Feinputz ein wertvolles Kreuzweggemälde in Temperamalerei, eines der schönsten in Apulien. Das Engagement der Bevölkerung war so groß, dass anfänglich viele Verwandte von Mitgliedern des Kapitels mit eigenen Mysterien-Statuen an den Riten teilnahmen. Die älteste Datierung geht auf das Jahr 1746 zurück, aus dieser Zeit stammt wahrscheinlich auch die Statue des Christo Morto (des Toten Christus), die heute in der Kirche Santa Maria di San Luca aufbewahrt wird. Die Anzahl der Mysterien betrug anfänglich fünf oder sechs und deckt sich in Zahl und Machart mit jenen in vielen anderen Orten Apuliens. Einzigartig in Valenzano ist allerdings, dass sich die Statuen im Privatbesitz befanden. Die Mutterkirche besaß nur das wunderschöne Gemälde der Madonna Addolorata (Schmerzensmutter), unter deren Schirmherrschaft am 27. April 1888 die Bruderschaft “Pia Unione di Confratelli e Consorelle sotto il titolo di Maria Santissima Addolorata” gegründet wurde. Von Jahr zu Jahr wuchs die Zahl der Mysterien und erreichte einen Höhepunkt nach den Volksmissionen der Passionisten, einmal im Jahr 1928 und dann wieder im Jahr 1951. Die finanziellen Mittel mancher Familien, deren Angehörige im Ausland arbeiteten, trugen noch ein Weiteres dazu bei. Trotz der großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen hörte dieses Phänomen nie auf. Heute gibt es siebenundvierzig Mysterien, die aus Valenzano eine “Passionsbühne” machen, die in Italien Ihresgleichen sucht.
Zum Abschluss der Prozession der Mysterien durchläuft der Prediger in einer stark dramatisierten Homilie die Geschichte der Passion Christi, die von den 47 Statuengruppen dargestellt wird. Am Höhepunkt der Predigt ruft er die Madonna mit den Worten „Maria, siehe deinen Sohn“ an. Die Statue, die bis dahin ein wenig abseits stand, kommt rasch auf den Geistlichen zu, der das Kreuz in die Arme der Schmerzensmutter legt. Die Vereinigung von Mutter und Sohn, die in ihrem ganzen Schmerz erlebt wird, zeigt die völlige Anteilnahme der Gläubigen, die über den rituellen Aspekt des Dramas hinausgeht und zum Ausdruck starken gemeinschaftlichen Mitempfindens wird.